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to the land of plenty

BOSTON - einst Tor zur Neuen Welt

Nach einem achteinhalbstündigen Flug in den Tag hinein, mit Stopover in Reykjavik und Weiterflug über Grönland und Labrador, also nach 5 Stunden über menschenleere Eiswüste, Packeis und schwarz-weiße Vegetation, landen wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit im wolkenlosen Boston.

Boston ist die bedeutendste Metropole New Englands und amerikanische Geschichte hautnah: Die Stadt wurde 1630 von puritanischen Engländern gegründet, auf die Iren und Italiener folgten. Da sich die Siedler nur bedingt assimilierten, entstanden im South End mit seinen Pubs und im North End mit seinen italienischen Bäckereien und Restaurants Stadtteile, die stark von der jeweiligen nationalen Identität der Angekommenen geprägt waren. Mit dem Zugriff des Vereinigten Königreichs auf die Terra Nullius als englische Territorien, der Gründung von Kolonien also, waren diese natürlich auch Absatzmärkte zum Verkauf von Waren wie Wolle und Tee, die im Mutterland hergestellt worden waren. Da England aufgrund der Ausgaben für den Siebenjährigen Krieg von den Kolonien verstärkt Sonderabgaben und Steuererhöhungen forderte, obwohl die Kolonien nicht im englischen Parlament vertreten waren („no taxation without representation“), und die Kolonien zunehmend ihre eigenen Wege gehen wollten, eskalierten die wachsenden Spannungen zwischen Großbritannien und den Kolonien in der Boston Tea Party: Am 16. Dezember 1773 drangen als Indianer verkleidete Aufständische in den Hafen von Boston ein und versenkten die Ladungen von drei Schiffen (Dartmouth, Eleanor und Beaver) der britischen East India Trading Company, konkret 45 Tonnen Tee im Hafenbecken. Dass das britische Militär gegen die Aufständischen, also gegen die eigenen Landsleute gewaltsam vorging und England als Konsequenz den Bostoner Hafen schloss, erhitzte die Gemüter flächendeckend und so sehr, dass es in den Städten zu weiteren sogenannten „Tea Parties“, also Boykottaktionen und regelrechten „Teescheiterhaufen“ kam, was im April 1775 zum Ausbruch des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges führte, der bis 1783 währte, obwohl die 13 Kolonien bereits am 4. Juli 1776 den finalen, unwiderruflichen Bruch mit der Englischen Krone kundgetan und ihre Unabhängigkeit ausgerufen hatten. Ihre Gründe für die Trennung vom Mutterland hatten die United Colonies in ihrer Declaration of Independence niedergelegt:

The history of the present King of Great Britain is a history of repeated injuries and usurpations, all having in direct object the establishment of an absolute tyranny over these States. To prove this, let facts be submitted to a candid world: He has kept among us in times of peace standing armies …
large bodies of armed troops,
for cutting off our trade with all parts of the world,
for imposing taxes on us without our consent…,
for depriving us of the benefits of trial by jury,
for altering our governments, and for suspending our legislations.

We therefore, the Representatives of the United States of America, …do solemnly publish and declare that these United Colonies are Free and Independent States, that all political connection between them and the State of Great Britain is totally dissolved, and that as Free and Independent States they have full power to levy war, conclude peace, contract alliances and establish commerce.

Symbolträger dieser Besiedlungsgeschichte der Neuen Welt bis hin zur heutigen Weltmacht ist die amerikanischen Flagge, die in der Nationalhymne als Star-Spangled Banner besungen wird. Zunächst wehte der englische Union Jack in den Kolonien, Zeichen der britischen Herrschaft über das besiedelte Land:

Während der Amerikanischen Revolution, beginnend 1763, bekam, weil die Kolonisten zwar noch als Untertanen des Königs, aber schon für ihre Loslösung von der Englischen Krone kämpften, der Union Jack als Platzhalter nur noch die Gösch auf rot-weiß-horizontalem Streifengrund, stehend für die 13 aufrührerischen Kolonien:

Nach der Unabhängigkeitserklärung dieser 13 Kolonien (Connecticut, Delaware, Georgia, Maryland, Massachusetts, New Hampshire, New York, New Jersey, North Carolina, Pennsylvania, South Carolina, Virginia und Rhode Island) am 4. Juli 1776 musste der Union Jack gänzlich einem blauen Feld mit 13 in einem Kreis angeordneten goldenen Sternen weichen:

Mit jedem Staat, der sich der Union anschloss, kam ein Stern dazu. Mit Hawaii ist am 4. Juli 1960 der bisher letzte, der 50. Bundesstaat, und damit 50. Stern zu den Stars and Stripes hinzugekommen. Die 13 weiß-roten Streifen repräsentieren noch immer die 13 Ursprungskolonien, die als United Colonies die Unabhängigkeit erstritten haben:

Als Gebildeter, der die amerikanische Flaggengeschichte kennt, muss man gestehen, dass die Europäer 1986 bei der Gestaltung ihrer Flagge nicht sehr kreativ waren, eher es dem Großen Bruder nachgemacht haben: So sind die zwöf goldenen Sterne für die im Jahre 1986 zwölf europäischen Mitgliedsstaaten auf blauem Grund weißgott keine europäische Erfindung. Auch das Nacheifern in Sachen Hegemonie, der deutschen Politik in der Vergangenheit sowieso nicht fremd, kommt nicht von ungefähr. Doch anders als die amerikanischen Flagge ist die Europaflagge bei ihren 12 Sternen geblieben, obwohl die EU aktuell 28 Mitgliedsstaaten zählt.

In den zwei Besuchstagen erleben wir die Stadt als in jeder Hinsicht attraktiv: Sie ist aufgeräumt und sauber, zudem kompakt und deshalb zu Fuß erkundbar, es herrscht Königswetter mit Temperaturen bis 22°C, Sonne und blauem Himmel, in Chinatown gibt´s Szechuan-Küche, am Copley Square New England Fish Chowder, die Menschen sind einfach „hi-guys“, hellhäutig, europäisch, wohlhabend, die Verständigung ist eher ein Heimspiel, und schließlich liegt unsere Unterkunft in Back Bay/South End und hat eine Dachterrasse, von der aus man die Skyline von Boston sehen kann. Was will man mehr.

Am ersten Tag sind wir historisch und auf dem Harborwalk unterwegs, also zum Old State House, zum Tea Party Ship „Eleanor“ und zur USS Constitution im Charlestown Navy Yard, am zweiten eher flanierend: zum Prudential Tower, zum Copley Square mit der ältesten Public Library Amerikas und der Trinity Church, dann an den Charles River, weiter zum State House mit seiner mit 24-karätigem Gold veredelten Kuppel und schließlich nach Harvard, der privaten Elite-Universität mit ihrer typisch roten Ziegelstein-Architektur, wo beispielsweise Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy, George W. Bush, Barack und Michelle Obama, Henry Kissinger, Herbert Marcuse, T.S. Eliot und Bill Gates Studenten waren.

Als wir morgens in die Luft nach Halifax gehen, bedauern wir, dass wir schon weg müssen, zumal die Atlantic Concert mit unserem Laster zwei Tage später eintreffen wird und die Temperaturen in Nova Scotia bei 9 - 11° C liegen sollen.

Dennoch: Auf geht´s mit Schmackes und ohne Zögern hinwech in kältere Gefilde.

Erstellt am Donnerstag, 21. April 2016
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