Bilanz und Entscheidung
Es wird keine Weiterfahrt geben. Wir bleiben bis zum nächsten Jahr.
Gründe divers:
- Wir haben unsere Vision Schwarzmeer in die Tat umgesetzt. Warum sollten wir weiter streben, weg von der Gegend, wo es unendlich viele Menschen hinzieht.
- Die Region ist der Hammer, unser Liegeplatz einzigartig (Kopfposition vom Feinsten für 7 € am Tag), die Stadt, was Proviantierung und Restauration anbelangt, komfortabel, die Marina außerhalb der Saison schön - zudem mit Security, Krasis Service verlässlich.
- Wir wollen das Revier erkunden, die Küste und die Buchten, die Fischernetze- und Muschelfelderfallen, das Burgas-Verkehrskreuz mit der Großschifffahrt, mit den im Schutz der zwei unbewohnten Inseln, auf denen nur Ziegen und Schafe grasen, vor Anker liegenden Fischerbooten, mit den 4 Fischtrawlern, mit den mächtigen Border-Police-Schiffen im Manöver, mit der Schnellfähre von Nesebar nach Sozòpol und zurück, mit den Ausflugsdampfern und Seglern. Und da Verkehr ist, lernen wir gezwungenermaßen die Vorfahrtsregeln: Segler - ankerndes Anglerboot ohne Motor, Segler - Segler, Segler - Pötte unter Motor.
- In der Marina ist man auf das Mit-, nicht Gegeneinander eingestellt. Wir erhalten Einladungen und Geschenke von Menschen, die wir zufällig treffen und zwischen denen menschliche Bänder entstehen, was wir so bis dato nicht kannten: Da sind zunächst Ivo, unser unmittelbarer Nachbar mit seiner Trophy, der uns zum Saisonstart zur Sunsetfahrt mit seinen Freunden einlädt (man kann ihn unter der Nummer 0898 75 4005 buchen), und Todor mit dem Fischtrawler, der uns alles rund ums Schleppnetzfischen erzählt und uns die 3 Stockwerke des Trawlers (hoch oben den Steuerstand, dann das Deck mit Trawl und Office und tief unten im Unterwasserschiff die sieben Crewschlafplätze und den Maschinenraum) zeigt (Video). Er ist es auch, der uns 7 Kräutersträuße aus seinem Garten mitbringt, eingelegte Gurken, grüne Feigen, mit strained yoghurt eine Delikatesse, und Aprikosentrester - alles „homemade“, zudem 2 kg fangfrische Sardellen, die wir in Olivenöl hart anbraten und mit Stumpf und Stiel verschlingen, natürlich nachdem wir sie ausgenommen haben. Morgens dann, kalt serviert, sind sie auf einem Sesambrot mit Butter genauso köstlich. Mitko B. spricht perfekt deutsch, das er zu DDR-Zeiten in Ilmenau erlernt hat, ist, seit er denken kann, Einhandsegler und fährt zusammen mit uns und seiner Frau Roumi die 25 nm bis zum Einlauf des Karganflusses und zurück bei anspruchsvollem Wind in 5 Stunden (Video). Der andere Mitko aus Jambol dagegen ist Osmoseabschleifer, der über Monate 14 - 16 Stunden giftig-ungesunde Ausbeutung in Kauf nimmt, um existieren zu können. Er schenkt uns zum Abschied zwei Miniausgaben des Neuen Testaments auf Bulgarisch: You know I believe in God. Der kleine Kapitän mit Fahrrad und Hündchen ist allgegenwärtig, sieht alles, weiß alles, kommentiert alles mit Gesten, die ihresgleichen suchen. Von ihm bekommen wir Wein, der 3 Jahre im Keller gelagert war. Asen mit seinem lautlosen Elektromotor ist Segelaficionado, versorgt uns mit für uns so wertvoller illustrierter Literatur zur Segelrealität (Illustrated Sail and Rig Tuning, Illustrated Navigation und Illustrated Seamanship, alle gleichermaßen von Fernhurst Books) und heißt uns in Sofia, wo er wohnt, jederzeit herzlich willkommen.
- Bei der für uns günstigen Großwetterlage High-over-Low anstatt der angekündigten Stürme mit 7 bft. und Böen bis zu 100 km/h fahren wir täglich 2 bis 3 Stunden hinaus (#1, #2, #3, #4), dies insgesamt 60 mal, wie auf dem Raymarinescreen dokumentiert ist, nur dreimal nicht. Auf der Rückfahrt frösteln wir jedes Mal ob des Adrenalin-Aus’. Nach anfänglichen Desastern fast an jedem zweiten Tag entwickeln sich eine Daily Routine vor und bei der Ausfahrt, beim und nach dem Anlegen, beim Segelsetzen und -einholen, bei den Manövern sowie eine gewisse Gelassenheit bei Böen, starker Krängung und rollender Dünung, wodurch wir schließlich zu einem relativen Vertrauen finden.
- Auch lernen wir die Tücken unseres in die Jahre gekommenen und von den 4.000 Flusskilometern mit gelegtem Mast geschundenen Materials kennen, das uns beim Segeln manchen blutigen Hautfetzen kostet, der bei dem geringen Salzgehalt des Wassers und den konstanten „Einlassungen“ der Schwarzmeeranrainer eher entzündet als verheilt. Die Genua muss ersetzt, das Groß optimiert werden, vielleicht durch eine Lazy-Bag? Wir sind noch unentschlossen.
- Ja, und der Autopilot: Wenn eingeschaltet, zickzackt er wie besoffen auf dem Wasser herum, irritierend für alle, denen wir begegnen und die wissen wollen, wohin wir zielen, und bei schwerem Wetter gefährlich für Leib und Leben. Man sagt, ein Rudergeber bringe den Autopiloten zur Vernunft, deshalb ist er geordert und schon an Bord, wird aber dieses Jahr nicht mehr eingebaut. So wird Tom die diffizile Montage in der nächsten Saison selbst erledigen, denn er hat sich kundig gemacht und kennt unsere Platzdeterminanten wie kein anderer.
- Udo, mit Frau und einem erfahrenen Segelfreund Anfang Juni unterwegs, den wir am Steg treffen, berichtet von seinen Erfahrungen, die er auf den 4 Tagen der Reise von Sozòpol nach Istanbul macht:
Hier in Tsarevo wurden wir sehr freundlich von Zoll und Polizei empfangen und schon am anderen Morgen ausklariert. Bis zur türkischen Grenze also alles prima. Der Rest der Reise war eine Odyssee! Wurden nicht nur getrieben von Wind und Wellen, sondern auch von der türkischen Grenzpolizei. Die erste Nacht in der Türkei haben wir mit Genehmigung einer Streife geankert, am nächsten Tag war nichts mehr erlaubt. Bei 30 kn und 1.20 m Welle begleitete uns ein Polizeiboot bis fast zum Bosporus. Mussten bis Istanbul durchfahren. Um 4 h morgens erreichten wir die Marina Atakoy, durften aber ohne Transitlog nicht rein und haben deshalb davor geankert. Am Tag dann stundenlanges Hin und Her. Keiner half, das Transitlog zu bekommen. Endlich ein aufgeschlossener Polizeioffizier, der in unserem Betreff eine Dreiviertelstunde telefonierte und schließlich eine Marina mit Agentur 10 nm weiter westlich fand. Dort echte Abzocke: 300 € für das Dokument. Nun sitzen wir im Restaurant mit kostenlosem Wifi, denn wir haben keine türkische Simkarte. 20 € wurden für einen Klick wetteronline abgebucht. Sind alle am Ende unserer Kraft und gehen jetzt ins Bett.
WIE MAN SIEHT, BRAUCHT MAN DRINGEND EINE DRITTE HAND FÜR DEN TRANSIT DURCH DIE TÜRKEI.
- Letztes Entscheidungskriterium ist, dass die Sommersaison überall da begonnen hat, wo wir hinwollen, heißt: die Marinas ausgebucht, Technomusik die ganze Nacht, reiche „Nauties“, die nur sich kennen und lieben. Auch hier in Sozòpol gibt es vom 1. Juli an bis zum Saisonende Ende August keine Liegeplätze. So beschließen wir, Anfang Juli unser Boot wieder auskranen zu lassen und bis zum nächsten Jahr aufs Trockendock zu legen. Wir werden uns also nach 12 Wochen Hiersein wieder abmachen zu unserer Lebensbase OF, aus der alle wegstreben, weil die hessischen Schulferien beginnen. Genauso so, nämlich umgekehrt wollen wir es haben.
Wir melden uns also erst nächstes Jahr wieder, aber nicht ohne bereits dieses Jahr unseren Liegeplatz in der Ägäis für nächstes Jahr ausgekundschaftet und gebucht zu haben, dies auf der Fahrt mit dem Auto nach Kreta.
Das Schwarzmeer-Buch geht natürlich noch dieses Jahr in Druck.
So sagen wir für 2023
tschau, tschau
T und V
Drei Mädelsfotos müssen zum Abschluss noch sein: das Prinzesschen, die Braut und die Künstlerin